Die Verschmelzung von Künstlicher Intelligenz (KI) und Prozessautomatisierung erreicht mit der Synergie von Agentic AI eine neue Dimension. Anstatt KI nur als isoliertes Werkzeug in einem Prozessschritt zu betrachten, ermöglicht Agentic AI die Schaffung autonomer, zielgerichteter Software-Agenten, die komplexe Aufgaben selbständig planen, ausführen und überwachen können. Im sonst deterministischen Ablauf eines Geschäftsprozesses werden dank des Einsatzes von KI nun die Potentiale von strikter Vorbestimmung und “kreativer” Abarbeitung gehoben.
Um ein flexibles und natürlich wirkendes Prozessmodell zu erhalten, ist eine nahtlose Integration von Agentic AI und BPMN (Business Process Model and Notation) erforderlich. Die vorausschauende Architektur von BPMN, insbesondere durch Elemente wie Ad-hoc-Subprozesse, erlaubt es, Agentic AI einzubinden, ohne sie als isolierte „Black Box“ aus dem Prozess zu entfernen. Vielmehr wird die autonome und lernende Fähigkeit der KI als ein integraler Bestandteil der Prozessdefinition selbst verstanden und als solche transparent modelliert und dokumentiert. Dies ermöglicht die Schaffung von dynamischen und sich selbst optimierenden Abläufen, die adäquat auf komplexe und unvorhersehbare Situationen reagieren können.
Traditionelle, deterministische "Entscheider"
Traditionell werden Entscheidungen in BPMN-Modellen primär durch Gateways und/oder DMN-Tabellen (Decision Model and Notation) modelliert. Gateways implementieren eine deterministische Wenn-Dann-Sonst-Logik, die basierend auf definierten Geschäftsregeln und den verfügbaren Prozessdaten bestimmte, nachfolgende Pfade auswählt und ausführt. Ähnlich verhält es sich mit Entscheidungstabellen, die mit Hilfe von Eingabevariablen eine Entscheidung berechnen. Diese klassische Modellierung funktioniert hervorragend für Prozesse mit bekannter, stabiler und regelbasierter Logik. Sie stößt jedoch an ihre Grenzen, wenn die Entscheidung komplex oder unvorhersehbar ist. Genau hier bietet der Einsatz von Agentic AI in Kombination mit Ad-hoc-Subprozessen eine flexible Alternative.
Der Ad-hoc-Subprozess unterscheidet sich von regulären, sequenziellen Subprozessen und bietet genau die Flexibilität, die für die Einbindung autonomer, Agentic AI notwendig ist. Zentrale Konzepte sind die zielorientierte Modellierung, bei der anstatt eines strikten Ablaufs nur das Ziel oder der gewünschte Endzustand definiert wird (vgl. Abbildung 1). Die darin enthaltenen Aktivitäten dienen als Pool potenzieller Aufgaben, die optional oder mehrmals ausgeführt werden können, um dieses Ziel zu erreichen. Das definierende Merkmal ist die Unstrukturierte Ausführung: Es gibt keine vordefinierte Sequenzfluss-Logik (keine Verbindungslinien zwischen den Tasks), die Entscheidung, welche Aufgaben wann und in welcher Reihenfolge ausgeführt werden, liegt allein beim Akteur des Ad-hoc-Subprozesses (hier: ein Mensch), der im vorhinein definiert, welche Tasks auszuführen sind. Beendet wird der Subprozess nicht durch ein Endereignis, sondern durch eine Completion Condition (Abschlussbedingung), eine logische Bedingung, die erfüllt werden muss.
Ad-hoc-Subprozesse bieten eine passende Notation für die Bearbeitung von Aufgaben durch Agentic AI, da sie die autonome Natur der KI perfekt widerspiegeln. Sie ermöglichen die Abbildung von Autonomie und Planung, indem sie dem KI-Agenten den Werkzeugkasten (verfügbare Tasks) und das Ziel bereitstellen, sodass der Agent dynamisch und selbstständig einen Plan entwickelt und die Reihenfolge der Tasks zur Erfüllung der Abschlussbedingung festlegt. Im Vergleich zu Abbildung 1, in welcher durch eine vorgelagerte, manuelle Tätigkeit die auszuführenden Tasks im Ad-hoc-Subprozess ausgewählt werden, erfolgt diese Auswahl wie in Abbildung 2 zu sehen, implizit durch einen KI-Agenten. Der Agent kann situativ auf Datenlagen reagieren und Tasks initiieren, die im normalen, sequenziellen Prozessablauf nicht vorgesehen wären (z.B. eine zusätzliche Datenvalidierung) oder das Modell unnötig komplex werden lassen würden. Obwohl die internen Algorithmen der KI eine "Black Box" bleiben, werden der Handlungsspielraum und ihr Ergebnis durch den Ad-hoc-Subprozess transparent in den Gesamtprozess eingebettet. Die übergeordnete BPMN-Orchestrierung weiß, wann die KI aktiv ist (während des Ad-hoc-Sub Prozesses) und was ihr Ziel ist (wenn die Completion Condition erfüllt ist), was ein kontrolliertes und nachvollziehbares Zusammenspiel ermöglicht.
Agentic AI als nicht-deterministischer "Entscheider"
Während Gateways also nur vordefinierte Pfade wählen können, ermöglicht die Agentic AI in einem Ad-hoc-Subprozess (Abbildung 2) eine autonome Planungs- und Entscheidungsfindung. Der Ad-hoc-Subprozess in BPMN ist daher ideal, um die Autonomie des KI-Agenten zu kapseln und darzustellen:
- Flexibilität: Im Gegensatz zu einem regulären Subprozess ist die Reihenfolge und Ausführung der darin enthaltenen Aktivitäten, wie oben bereits beschrieben, nicht strikt vorgeschrieben. Der KI-Agent kann als Akteur dynamisch entscheiden, welche Schritte (Tasks) zur Erreichung des übergeordneten Ziels benötigt werden.
- Kapselung: Der Ad-hoc-Subprozess definiert den Scope und das Ziel der autonomen Entscheidung. Der KI-Agent erhält die Kontrolle über die Aufgaben innerhalb dieses Bereichs (z.B. "Erarbeite einen Lösungsvorschlag für folgende Aufgabe"), während die übergeordnete Orchestrierung die Kontrolle über den Hauptprozess behält.
- Nicht-Determinismus: Der KI-Agent fungiert als ein nicht-deterministisches Entscheidungszentrum. Er interpretiert die Prozessdaten, zieht externe Informationen hinzu und generiert einen Plan, der möglicherweise neue, zuvor nicht explizit modellierte Task-Sequenzen umfasst. Das Ergebnis des Ad-hoc-Subprozesses (z.B. der generierte Plan oder eine finale Entscheidung) wird dann als strukturierte Prozessvariable an den Hauptprozess zurückgegeben, der daraufhin über ein nachfolgendes Gateway oder einen Service Task entsprechend reagieren kann.
Das Konzept eines Ad-hoc-Sub Prozesses ist in der Camunda Zeebe-Engine seit Version 8.7 unterstützt und wird seit Version 8.8 als Grundlage für die automatisierte, KI-gestützte Abarbeitung eingesetzt. Jeder in einem Subprozess enthaltene Task repräsentiert auch im KI-Kontext eine klar abgegrenzte Fähigkeit: etwa das Abfragen eines Microservices, das Aufrufen eines LLM-Endpunkts oder das Ausführen einer datenbank-bezogenen Funktion. Die technische Beschreibung umfasst Inputs, Outputs, Fehlverhalten und sonstige Parameter, die den Einsatz des Tools eindeutig definieren; und das alles wiederum über bekannte und etablierte BPMN-Konzepte.
Die Auswahl des passenden Tools durch den Agenten erfolgt zweistufig. Einerseits dient der Task-Name als primäres Identifikationsmerkmal: Er definiert für das Modell die grobe Funktion des jeweiligen Tools und bildet die Grundlage für die Tool-Auswahl. Andererseits können die Prozessdesigner die Beschreibung des Tasks nutzen, um zusätzlichen Kontext bereitzustellen. Dieser Beschreibungstext kann Hinweise enthalten, für welche Art von Problem das Tool geeignet ist, welche Randbedingungen es berücksichtigt oder welche Einschränkungen gelten. Damit entsteht ein semantisch angereichertes Umfeld, das dem Agenten hilft, Entscheidungen nicht nur auf Basis der Bezeichnung, sondern anhand eines umfassenderen funktionalen Kontexts zu treffen. Dieser zusätzliche Kontext wirkt sich nachweislich positiv auf die Qualität der Tool-Selektion aus, insbesondere bei komplexen oder mehrdeutigen Aufgabenstellungen. Zudem zahlt die Anreicherung des Modells um weitere Beschreibungen auf den ursprünglichen Charakter der Geschäftsprozessmodellierung ein: Dokumentation.
Der Agent-Connector bildet schließlich die Brücke zwischen BPMN-Struktur und agentischem Verhalten der ausführenden Schicht Zeebe. Er übermittelt dem zugrunde liegenden Modell das Prozessziel, den aktuellen Zustand sowie das vollständige Set an verfügbaren Tools – inklusive ihrer Namen und Beschreibungen. Auf dieser Grundlage plant der Agent autonom, welche Aktivitäten er ausführt und in welcher Reihenfolge, und wiederholt die Schritte bei Bedarf, bis das Ergebnis den spezifizierten Zielkriterien entspricht und somit die Completion Condition des Ad-hoc-Sub Prozesses erfüllt.
Durch diese Kombination aus formal definierten Tasks, semantischen Beschreibungen und agentischer Entscheidungslogik entsteht ein steuerbarer KI-Handlungsraum, der adaptive Problemlösung ermöglicht, ohne die Governance, Transparenz und Prozesskontrolle zu verlieren, die in professionellen Umgebungen unverzichtbar sind.
Fazit
Das Zusammenspiel von Agentic AI und BPMN, insbesondere in der Umsetzung durch Camunda, demonstriert eindrucksvoll die zukunftsweisende Design-Philosophie der Business Process Model and Notation. BPMN hat sich als ausreichend abstrakt und flexibel erwiesen, um auch disruptive technologische Errungenschaften wie autonome, agentische KI nahtlos zu integrieren. Durch die Nutzung von Konzepten wie dem Ad-hoc-Sub Prozess gelingt es, die nicht-deterministische Entscheidungsfindung und Planungsautonomie der KI in einen transparenten, orchestrierten und nachvollziehbaren Geschäftsablauf einzubetten. Dies gewährleistet, dass Unternehmen die Vorteile von KI – wie adaptive Problemlösung und erhöhte Effizienz – nutzen können, ohne die notwendige Governance, Kontrolle und Dokumentation zu verlieren.
Die Fähigkeit von BPMN, komplexe, menschzentrierte oder nun KI-gesteuerte Entscheidungsräume darzustellen, sichert seine Relevanz und Widerstandsfähigkeit gegenüber spezialisierten Newcomern im Markt, wie beispielsweise n8n. Es ist jedoch wichtig zu betonen, dass sich Workflow-Engines wie die von Camunda und andere BPMN-Plattformen keineswegs von Low-Code-Automatisierungstools wie n8n ausschließen. Vielmehr gilt der Grundsatz der Werkzeugwahl: Für die hochgradige Orchestrierung unternehmenskritischer, komplexer und oft langfristiger Prozesse mit klaren Anforderungen an Skalierung, Transparenz und Governance ist eine Workflow-Engine ideal. Werkzeuge wie n8n eignen sich hervorragend für schnelle, punktuelle Automatisierungen und die Integration von Drittsystemen (oftmals als iPaaS – Integration Platform as a Service) und können in bestimmten Szenarien sogar als spezialisierte "Tools" innerhalb eines größeren, durch BPMN orchestrierten KI-Agenten-Workflows dienen. Die beste Lösung entsteht oft aus einer Kombination von Werkzeugen, die jeweils ihre spezifischen Stärken zur optimalen Lösung des vorliegenden Problems einbringen.
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von Stephan Köninger
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Blog-Autor*in
Stephan Köninger
IT Consultant & Developer
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