Wie finde ich die richtigen Generative KI Use Cases? 5 Learnings aus der Praxis
Generative KI, insbesondere die Verwendung von Large-Language-Models (LLMs), zieht derzeit mit enormer Geschwindigkeit in Unternehmen aller Branchen und Größen ein. Ob Retail, Insurance oder Public Sector, vom Start-up über den Mittelständler bis hin zum Konzern – wir sehen bei unseren Kunden, dass kein anderer Technologietrend in der Vergangenheit so flächendeckend eingeschlagen hat. Die explosionsartige Verbreitung wird durch die Prognose von Gartner bestätigt, die besagt, dass bis 2026 mehr als 80 Prozent der Unternehmen GenAI-APIs oder -Modelle in ihre Produktionsumgebungen integriert haben werden, verglichen mit weniger als 5 Prozent im Jahr 2023. Jedoch hören wir in Gesprächen mit Führungskräften und operativen Fachabteilungen immer wieder dieselben Fragen auf: „Wie identifizieren wir Use Cases? In welche sollten wir strategisch investieren? Und wie gehen wir dabei am besten vor?“ In vielen Kundenprojekten zeigt sich, dass es entscheidend ist, die relevantesten Faktoren zu ermitteln und systematisch die Anwendungsfälle mit dem größten Potenzial umzusetzen. Dieser Artikel zeigt anhand von fünf zentralen Learnings aus Kundenprojekten, wie Unternehmen das volle Potenzial von Generativer KI erschließen können. Die wichtigsten Erkenntnisse im Überblick:
Von den Geschäftszielen her denken
Top-down vs. Bottom-up Approach abstecken
Den Fit zwischen Use Cases und Technologie überprüfen
Interne vs. externe Use Cases: Reifegrad entscheidet über den Einstieg
Breites und spitzes Angebot parallel angehen
Im Folgenden erläutere ich, wie diese Learnings in der Praxis wirken und welche konkreten Tipps sich daraus ableiten lassen.
Learning 1: Von den Geschäftszielen her denken
Häufig sind Unternehmen von den technologischen Möglichkeiten fasziniert (zum Beispiel: „Was kann ich mit LLMs alles anstellen?“) und verlieren dabei den Blick auf die eigentlichen Geschäftsziele. Viele Vorschläge und Ideen sind vielleicht sinnvoll, zahlen aber nicht auf die strategischen Ziele ein. Gerade weil LLMs so vielfältig und schnell einsetzbar sind, braucht es einen klaren Bezug zu den übergeordneten Zielen, die die Geschäftsleitung vorgibt. Wir unterscheiden dabei in drei zentrale Stoßrichtungen:
Kostensenkung: In wirtschaftlich herausfordernden Zeiten ist dies einer der häufigsten Anlässe. Laut Schätzungen können generative KI-Lösungen z.B. im Bereich Customer Service die Produktivität um 30 bis 45 % steigern (McKinsey Digital). Ein konkretes Beispiel: codecentric hat JobRad dabei unterstützt, 30% mehr Ausschreibungen mit unverändertem Personalbestand zu bearbeiten (mehr Infos in der Success Story).
Umsatzsteigerung: Weitere Use Cases zielen darauf ab, den Umsatz zu erhöhen oder neue Geschäftsmodelle zu ermöglichen. Zum Beispiel: Steigerung der Conversion-Rate um 20% durch eine KI-gestützte Freitext-Suche auf einer E-Commerce Plattform. Anders als bei konventionellen Suchfunktionen, die Nutzer auf vordefinierte Kriterien beschränken, ermöglicht die Freitext-Suche das Formulieren von Anforderungen in natürlicher Sprache. So finden Kunden schnell und präzise den gewünschten Artikel, was den Suchprozess deutlich vereinfacht und die Kundenerfahrung nachhaltig verbessert (siehe beispielhaftes Kundenprojekt bei DTAD).
Weitere Ziele: Auch weichere Geschäftsziele wie Marktanteile, Innovationsführerschaft oder eine effektivere Zusammenarbeit in der Organisation können im Fokus stehen. Ein Beispiel dafür ist ein Kundenprojekt in der Trendforschung für einen Leuchtenhersteller, das codecentric bereits erfolgreich umgesetzt hat. Mithilfe eines Multimodalen Models werden Marktsignale frühzeitig erkannt und ausgewertet. Dadurch reduzieren sich Blindspots in der Marktanalyse, und das Unternehmen kann schneller neue Produkte entwickeln sowie die Trend Scouting-Kosten senken – ein wichtiger Schritt hin zur Innovationsführerschaft.
In der Praxis ist es essentiell, sich immer wieder die Frage zu stellen: „Trägt dieser Use Case wirklich zu unseren obersten Geschäftszielen bei?“ Ein klarer Fragenkatalog, wie wir ihn in Workshops einsetzen, hilft, potenzielle Anwendungen zu priorisieren. So lassen sich Fehlinvestitionen vermeiden und Maßnahmen auf das Wesentliche fokussieren.
Learning 2: Top-down vs. Bottom-up Approach abstecken
Gerade vor dem Hintergrund der Definition der Geschäftsziele stellt sich die Frage, wie Use Cases im Unternehmen initiiert werden. Es ist grundsätzlich unabdingbar, die volle Rückendeckung für das Thema aus der Geschäftsführung zu haben, um die notwendigen Ressourcen konsequent zu allokieren und die Initiativen nachhaltig zu finanzieren. Dennoch kommt häufig die Frage auf, wo der Prozess der Use-Case-Entwicklung beginnt und aufhört. Dabei unterscheiden wir organisatorisch zwischen zwei Vorgehensweisen:
Top-Down vs. Bottom-Up Approach (Eigene Abbildung)
Top-down: Das Management setzt klare Ziele und schafft die nötigen Ressourcen. Auf diese Weise erhalten Projekte Priorität und Unterstützung. Die Auswahl der relevanten Fachbereiche findet über das Management statt. Wenn bereits Use Cases entwickelt wurden, kann eine Konsolidierung und eine Entscheidungsvorlage für das Management sinnvoll sein. Dieses trifft letztlich die Auswahl aus der Use Cases Sammlung basierend auf Business Cases, die dann fokussiert weiterverfolgt werden.
Bottom-up: Bei technologisch reiferen Unternehmen finden häufig verschiedene Experimente zu Generativer KI gleichzeitig statt. Dabei entstehen erste Prototypen, teilweise parallel und unkoordiniert. Bei geringerer KI-Erfahrung können alle relevanten Fachabteilungen koordiniert einbezogen werden, um in Workshops oder über einen Open-Innovation-Ansatz Ideen zu entwickeln. Mitarbeiter sind häufig sehr nah an den Problemen und können konkrete Vorschläge für Use Cases einbringen. Solche Initiativen können schnell erste Erfolge zeigen und die Akzeptanz erhöhen. Die parallel laufenden Aktivitäten sollten zu einem späteren Zeitpunkt konsolidiert und vom Management priorisiert werden.
In der Praxis hat sich gezeigt, dass beide Ansätze parallel verfolgt werden sollten: Top-down sorgt für klare Prioritäten, Ressourcen und die Ausrichtung an den Geschäftszielen. Bottom-up bringt die Nähe zum operativen Doing, fördert Akzeptanz und liefert wertvolle Einblicke in konkrete Prozesse. Erst in der Kombination entsteht die nötige Balance, um relevante Use Cases zu identifizieren, strategisch auszurichten und gleichzeitig im Unternehmen breit zu verankern.
Learning 3: Den Fit zwischen Use Cases und Technologie überprüfen
Nicht alle Anwendungsfälle eignen sich gleichermaßen für LLMs. In manchen Fällen reichen klassische Machine-Learning- oder Analytics-Ansätze oder manchmal auch die Entwicklung einer Softwarelösung, um ein Problem effizient zu lösen. Daher sollten Unternehmen kritisch prüfen, ob sich der ausgewählte Anwendungsfall auch sinnvoll mithilfe generativer KI umsetzen lässt. Generell lässt sich sagen, dass sich alle Aufgaben, die Sprachverarbeitung voraussetzen, am relevantesten sind. Laut einer Studie von McKinsey Digital entfallen rund 25% der gesamten Arbeitszeit auf Tätigkeiten, bei denen Sprachverstehen eine entscheidende Rolle spielt. Das verdeutlicht den Einfluss, den Generative KI entfalten kann – allerdings nur, wenn sie auf die richtigen Use Cases ausgerichtet ist.
Im Umkehrschluss, weisen folgende Faktoren darauf hin, dass der Use Case nicht gut zu LLMs passt:
Die Ergebnisse benötigen präzises Rechnen und logisches Denken.
Die Antworten müssen deterministisch sein.
Echtzeitanpassung oder „Training“ des Modells basierend auf Nutzerverhalten ist erforderlich.(Kontext über RAG möglich)
Wenn einer oder mehrere dieser Punkte zutreffen, der Use Case aber dennoch im Einklang mit den Geschäftszielen steht, lohnt es sich, ihn trotzdem weiterzuverfolgen – gegebenenfalls mit klassischen Methoden des Software Engineerings. LLMs können dabei selbstverständlich dabei trotzdem unterstützen, etwa bei der Codegenerierung oder in einzelnen Integrationsschritten.
Klassifizierung der Eignung von AI Technologien entlang von Use Case Familien (eigene Abbildung)
Learning 4: Interne vs. externe Use Cases - Reifegrad entscheidet über den Einstieg
In der Praxis haben wir gute Erfahrungen damit gemacht, die identifizierten Use Cases zunächst grob in „externe/customer-facing“ (z. B. Chatbot für eine Versicherung) und „interne“ (z. B. schnellere Texterstellung für Marketing) zu klassifizieren. Zwar besteht häufig der Wunsch, möglichst früh sichtbar am Markt zu sein, doch unsere Erfahrung zeigt, dass über 90 % aller vorgeschlagenen Anwendungsfälle in der Realität erst einmal interner Natur sind.
Das liegt oft am Reifegrad der Organisation: Wenn noch wenig Erfahrung mit generativer KI vorhanden ist, lassen sich interne Use Cases deutlich schneller und risikoärmer umsetzen. Gerade zu Beginn kann es nützlich sein, dass interne Nutzer mehr Fehlertoleranz mitbringen und mögliche „Unschärfen“ der KI nicht sofort als Reputationsrisiko wahrgenommen werden. Außerdem lassen sich die Mitarbeitenden in diesem Umfeld viel direkter schulen und steuern, damit frühzeitig eine realistische Erwartungshaltung gesetzt werden kann.
Sobald die Technologie und Prozesse intern stabil etabliert sind, lässt sich ein Übergang zu externen Use Cases in Erwägung ziehen. Hierbei fließen die gemachten Lernerfahrungen direkt in die Entwicklung von kundenorientierten Angeboten ein.
Letztlich hängt die Wahl von internen oder externen Use Cases stark von der Gesamtstrategie und den Geschäftszielen ab (siehe Learning 1.). Manchmal liefert ein externer Anwendungsfall frühzeitig den größten Mehrwert, manchmal eignet sich ein „interner“ Testballon besser. Entscheidend ist, realistisch zu bleiben und die Organisation und Kunden nicht zu überfordern.
Learning 5: Breites und spezifisches Angebot parallel angehen
Unternehmen, die Generative KI einsetzen wollen, stehen häufig vor der Entscheidung, ob sie ein breites Angebot, zum Beispiel für die Erledigungen von Bürotätigkeiten mit einem companyGPT, aufbauen oder sich auf spezifisch integrierte Lösungen konzentrieren sollen. Beide Ansätze haben ihre Stärken und werden in der folgenden Abbildung gegenübergestellt:
Vergleich: Breites Angebot vs. spezifische Lösungen (Eigene Abbildung)
In der Regel empfehlen wir, beide Stränge im Unternehmen parallel zu verfolgen: Einerseits bietet ein breiter Rollout mit einem companyGPT die Chance, schnell viele Mitarbeiter zu erreichen und ein KI-Mindset zu etablieren. Andererseits sorgen spezifische Lösungen dafür, dass konkrete Business-Herausforderungen gelöst werden und sich der tatsächliche Geschäftserfolg von Generativer KI früh nachweisen lässt. So werden Effizienzpotenziale ausgeschöpft, ohne auf schnelle Erfolge zu verzichten.
Fazit & praktische Implikationen
Generative KI kann weit mehr als nur faszinieren – sie muss klare Business Ziele unterstützen, um echten Mehrwert zu liefern. Dabei hat sich ein flexibles Vorgehen aus Top-down-Lenkung und Bottom-up-Ideenfindung bewährt, ergänzt durch pragmatische Pilotprojekte für schnelle Erkenntnisse. Wer zunächst die internen Effizienzgewinne hebt und sowohl ein breites Angebot durch ein companyGPT als auch spezifische Lösungen verfolgt, verschafft sich Wettbewerbsvorteile und legt den Grundstein für nachhaltige Innovation. Für eine gezielte Unterstützung bei der Use-Case-Entwicklung unterstützen wir gerne mit unserem KI-Use-Case-Workshop.
Quellen:
McKinsey & Company, 2023. The economic potential of generative AI
Gartner, 2023: Gartner Says More Than 80% of Enterprises Will Have Used Generative AI APIs or Deployed Generative AI-Enabled Applications by 2026
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von Marc Pudelski
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Blog-Autor*in
Marc Pudelski
Product Consultant
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